Susanne Wenger- eine Biographie (Königshausen & Neumann, 2020) September 4, 2019

Es war während meiner Studienzeit in Graz, als mir in der Auslage des Stadtmuseums ein Foto ins Auge stach: Eine Frau in schwarzweiß, Bubi- Kopf, die Augen aufgerissen, riesig und starr in die Weite gerichtet. Susanne Wenger. Neben dem Gesicht, dessen Ausdruck zwischen Wahnsinn und Erleuchtung zu schwanken schien, war ein in verspielten Lettern aufgeschriebener Text zu sehen, dessen Buchstaben an Blumen, Blüten und Wolken erinnerten. Nie hatte ich so eine Form von Ver-schriftlichung poetischer Sprache gesehen. Schon bald also begann ich, mich schlau zu machen, die österreichische-schweizerische Künstlerin Susanne Wenger und ihre Arbeit in Oshogbo kennen zu lernen. Ich war vorher noch nicht mit afrikanischen Mythen in Verbindung gekommen, hatte mich in meiner Arbeit kaum mit archaischen Kulturen und der Megalithkultur auseinandergesetzt; auch die Techniken der Indianerschamanen waren mir zu diesem Zeitpunkt noch fremd. Eines aber stand unweigerlich fest: diese Frau, dieses Gesicht, die wahnhaft starrenden Augen, hatten mich beeindruckt. Wenig später erklärte mir meine liebe Bekannte Maggie Jansenberger, die zu dem Zeitpunkt Frauenbeauftragte der Stadt Graz war, sie habe einen Weg im Stadtpark mit dem Namen „Susanne Wenger Weg“ betiteln wollen- woraufhin ihr männliche Kollegen bloss entgegnet hätten: „Lassen sie uns in Frieden mit der Hexe!“ Diese Aussage bestätigte mich mehr und mehr darin, mich mit Susanne Wengers Leben und Arbeit aneinander setzen. Ambivalente Gefühle, die mich im Angesicht der vorerst radikal fremden, monumentalen, wild naturhaften Skulpturen befielen und erschütterten, schwappten immer wieder über in Erstaunen, ja, in eine Faszination, die beim Betrachten fesselte. Es schien, als gelänge dieser Frau das Oszillieren zwischen Tradition und Moderne, als baute sie eine Brücke zwischen Archaischem und Abstraktem, ja, ästhetisch und geistig verschmolzen kamen mir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in diesem ihrem Gesamtkunstwerk vor, das sämtliche Materialien von Bäumen über Steinen bis hin zum klassischen Bleistift auf Papier mit einschloss. Ich begann, mich mit Susanne Wengers Lebensgeschichte zu befassen: Trotz aller Widerstände ließ sich Susanne Wenger nicht davon abhalten, den Schrein ihres Lehres, des Shonponna Kultkreises “Idi Baba”, der von der westlichen Gesinnung nach und nach zerstört zu werden schien, zu erhalten und allem zum Trotz an ihm weiter zu bauen. Sie bewohnte nicht nur ein Haus im “brasilianischen” Stil in Oshogbo, das das letzte und schönste Werk eines bekannten Yoruba-Baumeisters war, sie adoptierte und beherbergte außerdem 15 Kinder dieses Volkes und gab ihnen unter den holzschnittartigen Riesenwesen und Gebäuden im heiligen Hain Unterkunft. Dort schuf sie in einem der letzten Reservate uralten Regenwaldes, an den Ufern des Oshun- Flusses, eine Symbiose aus Architektur, Plastik, Malerei, Spiritualität, Natur und Kunst. Dieser „Heilige Hain“ beherbergte Susanne Wenger bis zu ihrem Tod- und es lohnt sich in jedem Fall, so man es nicht schafft, nach Afrika zu reisen, ihre Ausstellungen in der Wenger Foundation anzusehen.